21. Oktober 2012
16€ für Tweetbot?! Ein Skandal! …NICHT
Tweetbot für Mac ist endlich verfügbar, als ent-Alpha-t, so richtig über den Mac App Store. Auf Twitter – ironischerweise – und in den Blogs macht sich Empörung breit, wie das Entwickler-Team von Tapbots es wagen kann, für Software in unserer Zeit ganze 15,99€ verlangen zu können.
Wo die Empörung her kommt
Ein unerklärliches Mysterium ist das nicht. Wir sind einfach günstige Apps gewöhnt. Seit dem Start des App Stores gibt es nur noch 3 Preiskategorien: 0,79€, 1,59€ und 2,39€. Alles was darüber kommt ist zu teuer. Meist kommt man damit auch ganz gut hin. Sobald man allerdings mit aufwändigeren Spielen oder Produktivitäts-Apps der großen Player (Things, 1Password, die Apps der OmniGroup) liebäugelt, kommt man um den ein oder anderen Cent mehr nicht herum.
Auf Twitter las ich oft, Tweetbot würde nun genauso viel kosten wie Mountain Lion, also das Betriebssystem selbst. Dazu sei dieser Tweet zitiert:
All these “that’s how much I paid for Mountain Lion!” comments regarding Tweetbot crack me up. Final Cut? Aperture, anyone? #ridic
— Jeff Benjamin (@JeffBenjam) Oktober 18, 2012
Tweetbot ist nicht zu teuer – alle anderen sind zu günstig
Ich weiß nicht, wer diesen Trend eingeführt hat, aber seitdem es den App Store gibt, sind Apps unglaublich billig. Das ist auf der einen Seite natürlich supi spitze und so, auf der anderen Seite liegen die Nachteile auf der Hand. Eine ganze Branche zieht mit und stampft die Preise gewaltig ein. Die konsumierende Masse gewöhnt sich dran und will nichts anderes mehr sehen. Indy-Devs sind gezwungen ihre Apps unter viel zu niedrigen Preisen anzubieten. Dadurch muss eine größere Stückzahl verkauft werden, um überhaupt einmal den Break-Even-Point zu erreichen, ganz zu schweigen vom eigentlich Gewinn. Wirklich viel Geld machen die Wenigsten. Weniger Geld heißt weniger Raum für Risiken, Ideen, Experimente.
Darum freue ich mich immer, wenn ich sehe, dass sich Entwickler noch trauen, ihre Apps für mehr als die obligatorischen 2,39€ anzubieten. Hätten sich die Macher von Sparrow für mehr als die 7,99€ für ihre Mac-Version entschieden, hätten sie das Angebot von Google eventuell mit gutem Gewissen ausschlagen können. Wer weiß.
Von Demos und “besorgter” Software
Ich weiß, was es bedeutet, an Software-Lösungen zu bauen. Darum bezahle ich Entwickler gern, insofern sie denn ihre Arbeit gut gemacht haben. Bei Tweetbot konnte ich mich anhand der Alpha-Version für den Mac und der gewohnten Qualität der iDevice-Apps überzeugen. Üblicherweise geschieht dieses Appetizing über Demos. Würde Apple ein sinnvolles Demo-System in seine App-Store-Architektur integrieren, könnten die Entwickler die Preise ihrer Apps vermutlich auch eher anheben, ohne Kunden zu verschrecken. Momentan hat es oft etwas von Katze im Sack kaufen. Wer macht das schon gern.
Darum finde ich übrigens auch, dass File-Sharing-Portale durchaus zum Erfolg eines Produktes beitragen können (!). In meinem Bachelor-Studium beispielsweise war der Umgang mit Photoshop selbstverständlich, so wie er es in der Industrie auch ist. Dass sich jeder Student legal Lizenzen kauft, daran glaubt niemand. Nichtsdestotrotz gewöhnen sich Studenten an die Software, lernen damit umzugehen, können am Ende des Studiums sicherer Umgang mit Photoshop in ihre Bewerbungen schreiben. Für Arbeitgeber bedeutet das wiederum, dass man mit Photoshop auf Nummer sicher geht. Keine Schulungskosten und nichts. Das erleichtert den Kauf der Lizenzen. Somit ist der Zugang zu Photoshop über File-Sharing ein Stück weit Werbung für Photoshop selbst.
Wird klar, wie ich das meine? Über Demos macht man potentielle Kunden neugierig und abhängig, was letztenendes in Lizenzkäufen und somit Geld für die geleistete Arbeit mündet. Darum sollte Apple mMn die Möglichkeit der Demos im App Store so schnell wie möglich einführen. Bis dahin bleibt Entwickler nur das Anbieten abgespeckter Free-Varianten übrig. Die wirklich coolen Funktionen bekommt der Benutzer so aber nicht zu Gesicht, was den ganzen Appetize-Faktor wesentlich schmälert.
Was hat das mit Tweetbot zu tun?
Oftmals kann man sich nicht sicher sein, ob eine App für einen selbst den Wert hat, den es in Euronen verlangt. 30 tage testen sind gut, aber manchmal nicht ausreichend. Längere Testphasen würden Sinn machen. Tweetbot hat das mit der Alpha recht gut gelöst. Wäre Tweetbot ohne vorherige Testversion mit den 16€ in den App-Store gekommen, hätte ich vermutlich nicht zugeschlagen. Oder vielleicht doch. Ich weiß es nicht genau.
Jedenfalls ist eine längere Testphase bei Preisen jenseits der No-Brainer-Grenze (ca. 5€?) wichtig, denn nur so kann sich der Kunde folgendes klar machen:
- Die Entwickler arbeiten hart und bringen als Ergebnis ein Produkt heraus.
- Dieses Produkt benutzt du jeden Tag. Es hat vielleicht einige Macken, aber darum wird es auch aktiv weiterentwickelt.
- Finanziert wird die Weiterentwicklung durch den Verkaufspreis.
- Das Produkt erledigt seinen Job besser als jedes andere.
- Gut erledigte Jobs verlangen gute Bezahlung.
Wo das Geld so bleibt
Fakt ist, dass wir bereit sind für vieles Geld zu bezahlen, ohne groß drüber nachzudenken: Wocheneinkauf, Kaffee bei Starbucks, Döner zum Mittag, Kasten Bier, etc. Und warum auch nicht? Wozu Geld verdienen, wenn nicht zum ausgeben? Gemessen an dem, was du aber sonst für Freizeit, Klamotten und Co im Monat ausgebt: was sind 16€? Gemessen an dem, was du im Jahr dafür ausgibt, was sind 16€?
Ich für meinen Teil habe beschlossen, dass ich gute Apps bezahle. Auf dem iPhone sowieso, da die Preise dort fast durchgehend niedrig sind. Darum gibt es auch 1, 2 Apps, die ich gekauft, aber nie geöffnet habe. Auf dem Mac lasse ich mir damit ein bisschen mehr Zeit. Ich teste die Produkte und entscheide am Ende dann, ob ich sie weiter benutzen möchte oder nicht. Darum habe ich das Geld für Transmit, Keyboard Maestro & Co gern bezahlt. Sie erleichtern mir meinen alltäglichen Workflow ungemein und ersparen mir Zeit für andere Dinge, die ich sonst nicht tun könnte. Tag für Tag.
Achja, und dieses Twitter-API-Token-Dingsbums
Hast du mitbekommen, dass Twitter seine API-Zugriffe limitiert hat? Der Pool an Benutzern ist endlich. Das bedeutet ab einer gewissen Popularität kann Tweetbot keine neuen Lizenzen mehr verkaufen, ergo kein Geld mehr mit Tweetbot verdienen. Trotzdem erwarten die Benutzer – verständlicherweise – Support und Weiterentwicklung. Und das liegt auch im Interesse der Entwickler. Auch diese Aspekte darfst du im Zweifel gern mit einberechnen.
Jetzt die Frage: denkst du, dass 16€ – generell und insbesondere unter diesen Umständen – viel Geld für eine App wie Tweetbot sind?
Ausblick
Vielleicht geht bei der gesamten Diskussion einen Ruck durch die Köpfe vieler Leute. In dem Moment wo App-Devs mit ihrem Handwerk mehr Geld verdienen, haben Sie auch wieder mehr Zeit für Ideen, Experimente und die Verbesserung kleiner Details. Ich würde mich über eine solche Entwicklung freuen.
Ich habe gestern auf Twitter selbst erlebt, wie Person X morgens über Tweetbot geschmipft hat. Der Preis sei völlig übertrieben und Tweetbot könne vergessen, dass Person X ihn jemals bezahle. Über den Tag wurde Person X breitgequatscht, hat das Geld bezahlt und ist abends zu der Schlussfolgerung gekommen, dass Tweetbot sein Geld nun doch wert ist. Und genau so stelle ich mir das vor, mehrfach, tausendfach. Denkt darüber nach, diskutiert gern auch hier mit mir. Ich freu mich drauf 🙂
Dir gefällt, was du liest?
Sehr schön ;) Erzähl es doch weiter!